I will Gummibärli, Glace, Schoggi, Pommes Frites, Ketchup und es Goggi

Gegenwille spielerisch ausdrücken mit Marius und der Jagdkapelle - Oder: Warum der Instinkt des Gegenwillen zu eigen-willigen und willensstarken Kindern gehört

Vergängliches Gummibärli-Kunstwerk by Familie Zäh

Sich in Kinder hineinversetzen, auf ihre Seite kommen, die Welt aus ihrer Perspektive sehen und wenn’s geht auch fühlen – das sollte eigentlich eine Kernkompetenz aller Eltern und Pädagogen sein. Sollte… denn, nun ja, ich glaube, wir haben da durchaus noch etwas Luft nach oben.

Umso dankbarer bin ich für so intuitive Liedermacher wie Marius und seine Jagdkapelle, die uns mit spielerischer Leichtigkeit beispielsweise «schöner fluchen» beibringen. Aber nicht nur das: Eines unserer Lieblingslieder heisst «Luzi» (danke, lieber Marius, fürs «Ufelupe» - jetzt ist auch mir klar, dass Luzi von «luut si» kommt ;o).

 
 

Schöner habe ich den uns allen innewohnenden und somit ganz natürlichen Instinkt des Gegenwillens noch nirgends vertont gefunden:

I will hüt nöd dusche, will kein Spange a de Zäh,
i will nöd immer kusche und Elmex find i wäh.
I will kei Stäbli i de Ohre, kei Nivea-Creme im Gsicht,
nöd immer d’Hoore föhne und scho gar kei Globi-Gschicht.
I will mini Zäh nöd putze und das Pischi find i blöd,
will nöd d’Zechenägel stutze und i is Bett will i no ganz lang nöd.

 

Seit ich diesen Instinkt in mir, meinen Kindern und überhaupt in allen Menschen, die mich umgeben, entdeckt habe, wird mir vieles klarer – nicht nur, woher das trotzige Verhalten kommt, sondern auch welchem Zweck es dient, wie ich sinnvoll darauf reagieren kann und eben: Dass dahinter ein Instinkt steckt, also ein ganz tiefer innerer Trieb, dem mit Argumenten oder Gegendruck kaum Herr zu werden ist.

Dieser Instinkt in Opposition zu gehen oder Widerstand zu leisten, taucht in uns allen auf – und zwar als Verteidigungsreaktion auf die Wahrnehmung von Kontrolle und Zwang (man beachte den Zusatz «Wahrnehmung» - der Druck muss also keineswegs real sein). Dass das kein Kleinkind- oder Teenie-Phänomen ist und dieser Instinkt auch in uns Erwachsenen schlummert, resp. wann er in Angela und mir erwacht, haben wir in dieser Podcast-Folge besprochen.


I will nöd helfe tische und probier nöd vom Spinat,
nöd de Chuchi-Bode wüsche und kei Zwieble im Salat,
will am Tisch nöd ruhig sitze und vom Gmües ess ich e kei,
will nöd selber d’Farbstift spitze, nöd is Zimmer go elai.
I will nöd dass ihr hüt furtgönd und elai si gurkt mi a.
I will nünt vo dem, wo’n’ihr wönd, und das Gschimpf will i scho gar nöd ha.

 

Und hier möchte ich dich, liebe Leserin, lieber Leser, auffordern, mal einen Tag lang die Welt durch die «Zwangserfahrungen» deiner Kinder oder Jugendlichen zu erleben – so wie das Marius in seinem Lieb beschreibt. Du wirst sehen, dass er fast dauernd da ist und fast immer auf sie Einfluss nimmt – der Wille von uns Erwachsenen, die mit Abstand stärkste Kraft, die auf unsere Kinder einwirkt. Das ist gut so, versteh mich nicht falsch: Kinder sind von Natur aus noch unreif und verstehen nicht, warum Zehennägel geschnitten, der Schulsack gepackt oder Zähne geputzt gehören. Es ist wichtig und richtig, dass wir Verantwortung übernehmen – aber: Genauso richtig und wichtig ist es, dass das in unseren Kindern und Jugendlichen Gegenwillen triggert.

 I will Gummibärli, Glace, Schoggi,
Pommes Frites, Ketchup und es Goggi,
Cornflakes, Chips und Bööge-n-esse,
schmatze, görbse, schlürfe, fresse,
Wasser sprütze, Pfütze stampfe und uf allne Stüehl gigampfe.
Zelte, dreckle, furze, stinke und vorusse mit de Finke.
Kino, Zirkus, Fernseh glotze, muule, chlööhne, umemotze.
I will chli Sackgeld und e Schneeballschlacht und i will luut si, bis es tätscht und kracht!

 

Ich wiederhole das gerne: Gegenwille ist ganz natürlich und ich würde mir mehr Sorgen machen um ein Kind, das nie Gegenwillen zeigt als über ein Kind, das oft Gegenwillen zeigt. Und ja, ich weiss, dass der Gegenwille rotzig, frech und unständig und vor allem in den unpassendsten Situationen daherkommt. Und ja, dieser Gegenwille resp. vor allem unsere Reaktion darauf, kann üble Stürme triggern und zu viel Schaden auf allen Seiten führen. Aber: Wie wir damit umgehen, liegt in der Verantwortung von uns Erwachsenen - in unseren Kindern sind grad Instinkte am Werk! - und Stürme entarten meistens dann, wenn wir auf Gegenwille mit mehr Zwang oder Druck reagieren («I zelle jetz bis 3 und denn…» - Ja, was dann?).

I will nöd immer alls nöd döre und vill Folge isch en Seich,
will mit Gumpe nöd ufhöre, i find Regle bireweich,
will mis Zimmer nöd ufruume, nöd go laufe mit em Hund,
i will kes Pfläschterli am Dumme und will nöd i’d Flötestund,
will nöd immer liislig singe, i will nünt wo’n i do mue,
ihr chönd mi zu gar nüt zwinge, also lönd mi mit dem Züüg in Ruhe.


Kennen tun wir ihn also alle, aber was ist sein Sinn und Zweck, welche Funktionen hat dieser Instinkt zu erfüllen?

Zum einen dient Gegenwille der Bindung, denn er schützt vor Einflussnahme und Lenkung von aussen – oder wer will schon, dass das eigene Kind Wildfremden gehorcht und mit ihnen ins Auto steigt?!? (Leider, leider erwarten wir aber oft genau das: Dass unsere Kinder fremden Personen, zu denen sie noch überhaupt keine Beziehung haben, gehorchen – nur weil diese mit einer Rolle versehen in ihr Leben treten, sei das als KiTa-Betreuer:in, Spielgruppen-Leiter:in oder Lehrer:in…)

Ausserdem bin ich wahnsinnig froh, ist Gegenwille als Verteidigungsreaktion auf die
Wahrnehmung von Kontrolle & Zwang in uns aktiv
– wie sonst hätten sich Bauern und Bürger gegen die Obrigkeiten auflehnen können und wie sonst könnten heute… - aber lassen wir das.

Und last but not least schafft Gegenwille Raum für den sich entwickelnden Willen des Kindes – und ich hoffe doch sehr, dass wir uns alle nicht nur willensstarke und sondern vor allem auch eigen-willige Kinder wünschen.

 

Aber zurück zu Marius’ Lied «Luzi»: Das hilft nämlich nicht nur uns Erwachsenen, den Blick für den Gegenwillen in unseren Kindern zu schärfen! Es hilft auch unseren Kindern, die emotionale Ladung, die der Gegenwille mit sich trägt, auf eine spielerische Art und Weise loszuwerden! Ünd das ist wichtig, denn wenn Emotionen nicht ausgedrückt werden können, stauen sie sich ähnlich wie unsere Verdauung (mehr dazu in unserer aktuellsten Podcast-Folge). Und gestaute Emotionen explodieren dann, in den unpassendsten Situationen und wegen gefühlten Nichtigkeiten.

Falls du dich nun fragst, wie «abbauen» geht? Nichts einfacher als das: «Luzi» möglichst laut im Wohnzimmer abspielen, den Kindern allen Freiraum lassen (oder gleich selbst mitsingen)…

… bis es tätscht und kracht!

 

PS. Mehr zu Thema Gegenwille und wie wir bindungssicher und entwicklungsfreundlich damit umgehen können, erfährst du in unserem Intensiv-Kurs «Kinder verstehen»:

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