Als Eltern Fehler zugeben? – Unbedingt!
Warum wir weiche Herzen brauchen, um Fehler als Form und Möglichkeit zu lernen zu sehen – Oder: Warum wir uns bei unseren Kindern entschuldigen sollten
Eigentlich hätte sich dieser Blog-Eintrag ja um das WIE drehen sollen – WIE wir uns bei Kindern entschuldigen. Doch je mehr ich mich in das Thema eingedacht und eingefühlt habe, desto klarer wurde mir, dass ich erstmal was zum DASS schreiben möchte. Also dazu, wie es wichtig ist, DASS wir uns bei unseren Kindern entschuldigen. Erst wenn das geklärt ist, kann ich – im nächsten Blog-Eintrag - zum WIE weitergehen.
Dass das so ist, schmerzt mich ehrlich gesagt ein wenig, denn ich glaube, unsere Gesellschaft leidet daran, dass wir Fehler als etwas Negatives und Zu-Vertuschendes anschauen, dass sie uns peinlich sind und wir uns wünschen, sie nie gemacht zu haben.
Dafür, dass es unangenehm ist, einen Fehler zu erkennen, habe ich ganz viel Verständnis: Wir sind vielleicht von uns selbst enttäuscht oder haben jemand anderen enttäuscht und/oder jemand oder etwas hat Schaden genommen oder ist verletzt worden. Das zu erkennen, tut weh – absolut. Denn ja, Fehler tragen eine Verletzlichkeit in sich – aber ist das schlimm? - Kommt drauf an…
Wer sich gewohnt ist, vor Verletzlichkeit zu fliehen, wird einen Fehler als bedrohlich empfinden. Denn…
… ein Herz, das keine Übung darin hat, Schmerz, Kummer oder Trauer zuzulassen, wird sich bei jedem kleinen Anflug von Verletzlichkeit damit zur Wehr setzen, dass es den Grund für die Verletzlichkeit banalisiert, ausblendet oder aussperrt.
Und das ist nicht der Feigheit geschuldet! Unser Herz resp. unser Gehirn macht das automatisch und mit gutem Grund: Diese Verletzlichkeit zuzulassen wäre unerträglich, und zwar im wortwörtlichen Sinn! Müsste unser Herz die Verletzlichkeit fühlen («tragen»), würde es ob der Last einbrechen.
Wir brauchen also «weiche» Herzen – die Fähigkeit, alle unsere Emotionen fühlen zu können - um Fehler als das annehmen zu können, was sie eigentlich sind: eine Form und eine Möglichkeit zu lernen und sich zu entwickeln.
Wie sonst würden unsere Kinder das Laufen lernen, wenn nicht über unzählige Versuche in «Try and Error»? Und wie sonst hätten wir Menschen herausgefunden, unter welchen Bedingungen eine Torte luftig wird oder wie wir in Gemeinschaften Entscheide fällen, wenn nicht über einen langen Prozess des Adaptierens und Weiterentwickelns?
Fällt uns das «Entschuldigen» also deshalb so schwer, weil mit der Anerkennung des Fehlers oder des Scheiterns Verletzlichkeit einhergeht?
Oder hat es mit dem Wort zu tun - ENT-SCHULDIGEN – und dem so negativ konnotierten «Schuld», bei dem die Begriffe Täter und Opfer nicht weit sind und bei denen manch einer den drohenden Mahnfinger von Eltern oder Lehrer vor sich sieht und sich entsprechend wieder klein und ohnmächtig fühlt?
Ich mag das Wort «Entschuldigung» und die Wertung darin auf jeden Fall nicht. Viel lieber wäre mit etwas Neutraleres wie «Ursache und Wirkung» - also, dass ich anerkenne, dass ich – ob bewusst oder unbewusst, beabsichtigt oder nicht - die Ursache von etwas war, das (zumindest im Nachhinein) nicht die gewünschte Wirkung erzielte.
Voilà, so viel dazu, warum es für uns Erwachsene sinnvoll ist, unsere Fehler anzuerkennen. Aber was hat das nun mit unseren Kindern zu tun?
Warum sollten wir unsere Fehler, unser Scheitern oder unsere Grenzüberschreitungen gegenüber unseren Kindern anerkennen?
Kinder lernen am Modell. Wenn in Familien eine «Fehlerkultur» gelebt wird – Fehler also kultiviert und kultiviert angesprochen werden – wachsen Kinder bereits mit diesem Mindset auf und es fällt ihnen leicht(er), sich der eigenen Unzulänglichkeit zu stellen und sie zu benennen. Und da Kinder noch nicht so verkopft sind wie wir Grossen, bilde ich mir ein zu sehen, dass das daraus resultierende Lernen bei ihnen intuitiv und ohne viel Gedöns geschieht (ganz ähnlich wie damals beim Laufen-Lernen). Und das ist es ja, was wir uns als Eltern wünschen und worauf wir schlussendlich auch bauen: Dass unsere Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen und daraus lernen.
In dem Sinne brauchen wir unsere Kinder auch nicht dazu zu erziehen, sich zu entschuldigen, wir brauchen es ihnen nur vorzuleben. Oder in den Worten von Karl Valentin: «Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.»
Es gibt aber noch ein zweites wichtiges Argument dafür, dass wir uns bei unseren Kindern entschuldigen, und das hat mit ihrer Wahrnehmung zu tun. Kinder kommen mit einem klaren Gespür für Grenzüberschreitungen und mit einer feinen Wahrnehmung für Energien auf die Welt – das zumindest meine Erfahrung als Mutter und Elternberaterin. Wenn wir als Eltern gegenüber Kindern überreagieren und bspw. zu laut werden oder einen beschämenden Unterton einfliessen lassen, nimmt das Kind das wahr – als Irritation oder als Änderung in der Energie (bspw. dass der Raum «gefriert»). Meine Kinder haben einen unglaublich feinen Sensor für diese Grenze und spiegeln mir auch minimste Überschreitungen mit unglaublicher Treffsicherheit (was mich gelehrt hat, diesen Sensor auch wieder zu entstauben).
Die Frage ist nun, was unsere Kinder mit dieser Wahrnehmung machen? – Nun, Kinder sind ja quasi hauptberuflich damit beschäftigt, sich ihr Weltbild zu konstruieren resp. die Realität zu entschlüsseln: Was hängt womit zusammen? Wie laufen welche Situationen ab? Wer benimmt sich wem gegenüber wie? Was ist typisch Frau, typisch Mann oder typisch Hund etc. – Das heisst, Kinder werden auch solche «grenzüberschreitenden» Situationen in ihre Wahrnehmung der Welt integrieren – die Frage ist nur «wie»:
Wenn wir hinstehen und unseren Fehler anerkennen («Oh, bitte entschuldige, das war jetzt grad etwas sehr laut/grob/wütend von mir.»), werden sie ihrer Wahrnehmung vertrauen lernen. Im Sinne von: «Ah, okay, da hat sich die Energie im Raum geändert/da war ein harter Unterton in der Stimme und das hatte mit Mama zu tun, weil…».
Wenn wir aber darüber hinweg gehen und so tun als wäre nichts geschehen, lernt das Kind, das sowieso noch alles auf sich bezieht, dass…
a) entweder seine Wahrnehmung falsch war («Da war gar nichts – das habe ich mir bloss eingebildet!»);
b) es selbst der Auslöser war («Meine Mama hat die Energie-Änderung nicht wahrgenommen, also muss dieses unangenehme Gefühl mit mir zu tun haben!»), oder dass
c) solche Irritationen oder unerklärlichen Änderungen in der Energie einfach zu Beziehungen dazu gehören.
Ich wünsche mir sehr, dass meine Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen und daraus lernen. Und ich wünsche mir ebenso sehr, dass sie eine Beziehung zu ihrer eigenen Wahrnehmung und somit zu ihrem Innenleben aufbauen und dass sie lernen, dieser Wahrnehmung und somit sich selbst zu vertrauen. Denn ich bin überzeugt, dass diese urmenschlichste Kompetenz eine der wichtigste «future skills» ist.
Und ich bin überzeugt, dass mein eigener Umgang mit Fehlern, Scheitern oder Grenzüberschreitungen die Grundlage hierfür legt - auch wenn das nicht immer so angenehm ist für mich…
Foto: Simona