Die ganz besondere Brücke

Oder: Wie wir immer die Verbindung bewahren können

 

Je älter die Kinder werden und je komplexer unsere Lebensumstände sind, desto mehr kommt das Thema auf, wie wir die Verbindung bewahren, wenn wir (physisch) getrennt sind. Die Bindungswurzeln geben uns mit der Zeit mehr Freiheiten, doch müssen sie auch aktiviert und genährt werden. Das Besondere an den folgenden Büchern ist, dass sie dem Kind etwas geben, woran es sich festhalten kann während einer (bevorstehenden) Trennung. Wir legen ja den Fokus nicht auf die Trennung, sondern auf die Verbindung oder das nächste Wiedersehen. Das ist wie der besondere Blick über die Brücke: Wir sehen nicht das trennende Wasser, sondern gleich das andere Ufer. So gehen wir sozusagen von Verbindung zu Verbindung und erwarten nicht von unseren Kindern, dass sie lernen, mit Trennung fertigzuwerden – denn dafür sind wir als Menschen im Grunde gar nicht gemacht. Sondern eben dafür, die Verbindung zu bewahren – und die bleibt für immer.

 

Der besondere Blick über die Brücke: Wir sehen nicht das trennende Wasser, sondern gleich das andere Ufer

 

Einmal mehr möchte ich Einblicke in meine besondere Kinderbuchsammlung geben. In diesem Teil geht es um die Geschichten, in denen den Kindern vermittelt wird, wie sie an uns festhalten können, wenn wir nicht da sind. Das Besondere an dieser Buchauswahl ist, dass die Eltern dem Kind BEVOR die Trennung stattfindet etwas mitgeben oder offenbar schon mitgegeben haben, was ihnen hilft, an ihnen festzuhalten. Nicht, dass das Kind schon Trennung erlebt und dann kommt etwas, was ihnen hilft, damit umzugehen, sondern sie sind darauf vorbereitet.

Leider besteht meine Auswahl dieses Mal nur aus englischsprachigen Büchern. Zum Glück ist es bei Kinderbüchern ja nicht so schwer, direkt mit zu übersetzen. Der Reim geht natürlich meist verloren, aber wenn es schöne Bilder und eine gute Geschichte sind, ist es das trotzdem wert, finde ich.

Ich habe bei meiner Recherche leider keine deutschsprachigen Kinderbücher zum Thema finden können. Ein einziger Tipp eines erfahrenen Kinderbuchhändlers führte ins Leere – vergriffen und verschollen. Interessant fand ich auch, dass er auf meine Frage hin (die ich eigentlich aus meiner Sicht deutlich gestellt hatte) Bücher zum Thema Schnuller, Teddybär und Kuscheldecke empfahl. Übergangsobjekte sind jedoch nicht das, wovon wir möchten, dass sich unsere daran binden. Sondern an UNS! Doch dann müssen wir ihnen auch etwas von uns mitgeben.

Letztlich meinte der Buchhändler, ich sollte selbst eines zum Thema schreiben. Wenn ich eine passende Illustratorin finde, mache ich das sehr gerne. In der Zwischenzeit habe ich deutsche Verlage angeschrieben und sie auf einige der folgenden Schätze (zum Teil internationale Bestseller!) aufmerksam gemacht. Vielleicht kann ich ja einmal von deren Übersetzung berichten.

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NACHTRAG (Juli 2023):

Dank des Tipps einer Kursteilnehmerin kann ich das erste mir bekannte deutschsprachige Kinderbuch zum Thema vorstellen: Liebe von Corrinne Averiss und Kirsti Beautman. Es handelt von dem Mädchen Emma, das durch Liebesschnüre (ähnlich wie in den beiden folgenden Buchvorstellungen) mit ihrer Familie verbunden ist. Durch das stärkende Bild der Schnüre, mit denen wir alle mit denen verbunden sind, die wir lieben, schafft es Emma, die schwierige Situation des Schulanfangs zu überwinden und knüpft so neue Schnüre mit ihrer Lehrerin und ihren Mitschülern. Als die Mama nicht ganz pünktlich zum Abholen kommen kann, wird deutlich gemacht, dass so eine Schnur nicht zerreißen kann, höchstens gedehnt oder sich mal verheddern kann. Mit schönen Illustrationen ist es ein besonderes Geschenk zur Einschulung. Leider beschränkt sich das Buch auch darauf; zudem findet keine Übergabe zwischen den Erwachsenen statt, das Mädchen wird verabschiedet und erst nach einer Bindungslücke kommt die Lehrerin. (Anmerkung einer ehemaligen Freilernerin: Die Schule sieht von außen nicht gerade einladend aus.)

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Eine ganz besondere Entdeckung ist The Invisible String von Patrice Karst (die neuere Auflage mit den Illustrationen von Joanne Lew-Vriethoff ist mein Favorit). In dieser Geschichte erzählt die Mutter ihren Zwillingen in einer Sturmnacht von dem unsichtbaren Band, von dem ihr schon ihre Mutter als Kind erzählt hat. Ein unsichtbares Band, das sie mit ihnen verbindet, egal, wohin sie gehen. Dieses unsichtbare Band (der Liebe) verbindet sie auch mit allen anderen lieben Menschen, tot oder lebendig, nah oder fern. Das Buch wurde in ähnlichen Varianten weiter aufgelegt, es gibt auch ein Arbeitsbuch mit einer Therapeutin. Leider hat es noch nicht Eingang in den deutschsprachigen Raum gefunden. Ich bemühe mich drum!

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In eine ganz ähnliche Richtung geht das Buch Love Waves von Rosemary Wells, in dem die Mäuseeltern ihrem Kind von ihren Arbeitsstellen Liebeswellen schicken und so die Trennung überbrücken. Das Kind ist auch nie allein, sondern immer beim anderen Elternteil. Die Liebeswellen helfen auch, die Trennung der Nacht zu überbrücken. Das Buch ist gereimt, aber die Bilder sind auch leicht direkt übersetzt zu kommentieren.

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In The Kissing Hand von Audrey Penn hilft die Waschbärenmama ihrem Kind, die Trennung in der Schulzeit zu überbrücken. Sie erzählt dem Kind von einem besonderen Geheimnis, das schon lange in der Familie weitergegeben wird – die Kusshand. Wenn die Mama ihm in die Hand küsst, dann bleibt dieser ganz besondere Kuss drauf, lässt sich nicht abwaschen, verschwindet nicht und ist immer da. Das hilft dem kleinen Waschbären, sich in die Schule zu trauen – und am Ende lässt er seiner Mama auch eine Kusshand da. Als ich meinem Patenkind diese Geschichte vorlas, hat sie diese Idee von der Kusshand dann ihrer Mama erzählt und es half ihr in verschiedenen Trennungssituationen.

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In That's Me Loving You von Amy Krouse Rosenthal erzählt die Mama ihrem Kind, dass in der Natur lauter Dinge sind, die ihn an Mama erinnern: die sanfte Brise bin ich, die dich streichelt; der Schmetterling auf deiner Schulter bin ich, die dich umarmt … das Gefühl, das du immer in deinem Herzen haben wirst – das bin ich, die dich liebt – ob zusammen oder getrennt. Mit diesem Fokus der Verbindung wird die Trennung kaum spürbar.

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Zum Abschluss dieser etwas kürzeren Folge kommt Meet me at the Moon von Gianna Marino. Hier muss eine Elefantenmama ihr Kind bei den anderen Steppenbewohnern zurücklassen, weil sie auf den Berg gehen muss, um (die Natur) um Regen zu bitten. Sie lässt ihr Kind in der Obhut der anderen, jedoch gibt sie ihm viele Möglichkeiten mit, wie sie ihm nahe sein kann (im Wind, im Mond usw.) und erscheint dann natürlich in dem Moment (wenn der Mond die Erde berührt), wie sie es bei der Trennung gesagt hat, gerade als das Festhalten langsam schwerer wurde.

Ich wünsche uns allen viele Brücken, unsichtbare Bänder, Liebeswellen, Schmetterlingsumarmungen und Kusshände, um uns denen nahe zu fühlen, die wir lieben, wenn wir getrennt sind.

 

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