Die Mama, das Baby-Monster

Wie wir unseren Kindern helfen können, ihren Alarm spielerisch auszudrücken – Oder: Wie ich nach einem alarmierenden Trickfilm das Unwohlsein und den Alarm aus unserer Tochter herauslocken konnte

 

So in etwa stellt sich meine jüngste Tochter ein Baby-Monster heute vor

 

Ganz angespannt sass unsere Jüngste auf dem Sofa neben ihrem Papa, doch eigentlich war sie mit Haut und Haaren komplett in dem Trickfilm drin, der gerade auf dem grossen Bildschirm in unserer Stube lief (Altersfreigabe FSK 0). – Der Film war ebenso Schrott wie Altersfreigaben aussagelos sind, da waren sich mein Mann und ich schon im Voraus einig, doch unsere Kinder wollten ihn uuunbedingt schauen. – Nun, es gibt gute Gründe, warum wir unsere Kinder sehr dosiert fernsehen lassen – und das meist nur ausgewählte Filme. Aber in diesem Fall gab es auch ein gutes Argument für den Film – das eine Lied aus dem Soundtrack hatte es unserer Familie angetan.

Wie auch immer: Nach dem Film war unsere Jüngste nicht mehr in ihrer Mitte. Sie wollte zwar – wie zuvor abgemacht – nach dem Film in ihre Playmobil-Bauernhof-Welt eintauchen, doch das ging nicht: Sie war innerlich in höchstem Grade aktiviert und dennoch blockiert.

Der Alarm, getriggert durch all die schnellen Schnitte und sinnlos überhöhten gefährlichen Szenen (kann mir mal jemand erklären, warum das in so vielen (Trick-)Filmen mit Altersfreigabe 0 so ist?!?) steckte förmlich in ihrem Körper fest.

Kein Wunder also, dass sie in ihrem Unwohlsein meine Nähe suchte. Nicht auf die kuschelige Art, sondern auf eine nölige Art und Weise, die wohl so viele Eltern kennen. Ich hätte mit ihr argumentieren können, um sie dazu zu bringen, wie abgemacht Zeit in ihrem Zimmer zu verbringen – schliesslich hatte ich mit dieser freien Viertelstunde gerechnet. Das Wissen um Alarm aber liess mich etwas anderes tun:

«Ah, dieser Film hat mir nicht gutgetan – der gefährliche Hai, die schnellen Schnitte… ich fühl mich richtig unwohl». Damit lud ich meine Tochter ein, ihr eigenes Innenleben zu erforschen… «Ja, Mama, genau. Und da wo er ganz alleine in der Kiste steckt - das hat mir Angst gemacht…» - Das Gespräch dauerte nur zwei-drei Minuten, dann kam zusammen mit dem Schmunzeln in meinen Augen mein Zeigefinger hervor: «Sag mal, wo steckt denn all der Alarm in deinem Körper drin… Nicht doch etwa hier…?!?» Und schon waren wir mitten in einem Kitzel-Rauf-Spiel drin, das mindestens zehn Minuten dauerte.

Dann sagte meine Tochter: «Mama, kannst du noch einmal das Bébé-Monster sein…?» - Ich stutze erst, weil wir das schon länger nicht gespielt hatten und musste gleichzeitig ob dem genialen Einfall schmunzeln: Als sie klein war, habe ich oft mir ihr auf dem Boden oder auf dem Bett gekuschelt und Eisbären-Mama gespielt – und eben auch «Bébé-Monster».

Wieso ein Monster? Nun, um ihren Alarm spielerisch und in dem absoluten sicheren Raum mit mir zu aktivieren und so zu kalibrieren, hatte ich mit meinen Kindern manchmal Monster gespielt: Also Fratzen gerissen und gruselige Geräusch von mir gegeben. Wenn wir das mit unseren Kindern machen, ist es sehr (!) wichtig, dass es nicht zu viel ist für sie – also sie sich nicht richtig erschrecken, aber eben doch ein klitzekleinwenig.

Gemeinsam mit meiner Jüngsten hatten wir deshalb die Rolle des Bébé-Monsters entwickelt: Ich spielte dann ein total knuddeliges Mini-Monster, das sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich mal jemanden so richtig erschrecken zu können (so ähnlich wie Nepomuk bei Jim Knopf). Unter Anleitung meiner Tochter durfte das Bébé-Monster dann die Intensität seiner Attacken steigern: Hände vors Gesicht, hervor schiessen und «Puh!» machen! Zuerst war es ein ganz süsses «Puhuuuu…?» mit einem strahlenden Zwinkern in den Augen, das sich dann langsam in ein erbostes «Puh!!!» mit einem gespielt wütenden Gesichtsausdruck verwandelte. Meine Tochter liebte dieses Spiel!

Dass sie sich nun daran erinnerte, war die Aufforderung an mich: «Mama, hilf mir den Alarm in meinem System spielerisch abzubauen, damit ich mich wieder wohl fühlen kann!» Natürlich kam ich ihrer Bitte nach. Und weitere fünf Minuten später tuckerte sie zufrieden los in ihr Zimmer und fand während der nächsten halben Stunde in ein wunderbares Spiel mit sich selbst.

Und die Moral von der Geschicht? – Es kann geschehen, dass Trickfilme resp. wir als Eltern oder überhaupt das Leben und die Umwelt mal zu viel von unseren Kindern verlangen und ihren Alarm in den roten Bereich treiben. Das ist nicht weiter schlimm, wenn es nicht im Übermass geschieht und wenn wir unseren Kindern helfen, ihrem Alarm auf die Spur zu kommen, eine Beziehung zu ihm aufzubauen und vor allem: Ihr Alarmlevel wieder zu senken.

Viel Spass beim Spielen,

 

PsS. Wenn du tiefer eintauchen möchtest in die bindungsbasierte & entwicklungsfreundliche Begleitung von Kindern, ist vielleicht der neue Jahreskurs «Kinder mit ganzem Herzen begleiten» etwas für dich?

PPS. Mehr zum Thema «Alarm & Ängste» findest du in dieser Podcast-Serie.

Bild: J. Zäh

Zurück
Zurück

Was tun, wenn das neunjährige Kind eine Apple Watch will?

Weiter
Weiter

Von Angsthasen & Draufgängern