“Ich könnte dich auf den Mond schiessen”

Hand aufs Herz – wer hat das nicht schon mindestens gedacht, wenn nicht gleich zu seinem Kind gesagt? Das Baby, dass seit gefühlten Stunden nicht in den Schlaf finden will, das Kleinkind, das gerade alles andere im Kopf hat, als sich anzuziehen und 0 Verständnis dafür aufbringt, dass der Arzttermin immer näher rückt. Das Schulkind, dass die Matheaufgaben nicht versteht, sie sich aber auch nicht erklären lassen will oder der Teenager der gerade so richtig frech und ausfällig wurde… Beispiele, wie Kinder uns auf die Palme bringen und uns zu solchen Aussagen verleiten können, gibt es wohl in der jeder Familie mehr als genug. Und dass man als Eltern öfters mal an den Rand der Verzweiflung kommt, wissen alle, die jemals eigene Kinder hatten.

Doch es gibt auch jene Situationen, die uns nicht nur aus dem Gleichgewicht bringen, sondern in denen irgendwelche «Knöpfe in uns gedrückt werden», wie es meine Ausbildnerin am Neufeld Institut immer nannte. Situationen, in denen unsere Reaktion nicht in einem ausgewogenen Verhältnis zum Vorfall steht. Eine umgekippte Tasse Milch am Frühstückstisch, und die Mama rastet komplett aus…

Solche Situationen können aus meiner Sicht zwei Ursachen haben: Die eine Ursache liegt im hier und jetzt und kann Schlafentzug heissen, oder Zeitdruck, ein Hungerast, Schmerzen oder schlimme finanzielle Sorgen… Es handelt sich hier um Dinge, die uns stark belasten, körperlich oder psychisch und für einen grundsätzlich hohen Stresslevel sorgen. Da kann dann so eine Tasse Milch das berühmte Fass zum Überlaufen bringen.

Die andere Ursache liegt nicht im Aussen, sondern tief in unserem Inneren. Wir alle tragen einen Rucksack mit Kindheitserfahrungen und ziemlich sicher auch -Verletzungen mit uns. Handelt es sich dabei um unverarbeitete tiefe Verletzungen (auch Trauma genannt) kann es passieren, dass die Emotionen und der Stress von damals durch ein Ereignis von heute erneut abgerufen werden.

Bleiben wir bei der umgekippten Tasse Milch: Vielleicht hat diese Mama als Kind erlebt, dass sie sich für so ein Missgeschick eine heftige Ohrfeige und wüste Beschimpfungen eingehandelt hat. Vielleicht wurde sie bestraft, bedroht, herabgesetzt…  Und nun sagt ihr Gehirn ihr heute, angesichts der ausgeschütteten Milch auf dem Tisch: «Achtung, grosse Gefahr!» Der Stresslevel steigt, sie wird geradezu überflutet von Emotionen und reagiert, wie sie eigentlich nie reagieren wollte…

Dass es sich um ein Trauma aus der eigenen Kindheit handeln könnte, erkennen wir daran, dass die Reaktion nicht zum Vorfall passt, dass es sehr plötzlich kommt und sich wie ein «überschwemmt werden» anfühlt.

Egal ob es ich um Stress im Heute oder um eine unverarbeitete Verletzung von früher handelt: Wichtig ist es, dass wir uns darin üben, uns zu regulieren, bevor es zur Explosion kommt. (Mehr dazu im nächsten Beitrag von Angela Indermaur) Und wenn es doch passiert ist, dass wir mit dem Kind das Gespräch suchen, moderates Erklären, Entschuldigen und vor allem dem Kind Sicherheit vermitteln ist nun angesagt.

Und wenn wir merken, dass es immer wieder zu solchen Situationen kommt, wäre es vielleicht an der Zeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sei es, um die heutige Situation zu verändern und Stress zu minimieren oder auch um unsere eigenen Verletzungen zu verarbeiten.

Zu diesem Thema möchten wir gerne das Dossier «Psychische Gewalt» aus dem aktuellen Elternmagazin Fritz und Fränzi empfehlen.

Das Magazin ist in der Schweiz im Zeitschriftenhandel erhältlich.

Hat dich dieses Thema nachdenklich gemacht? Hast du Fragen, oder brauchst du mehr Infos dazu? Melde dich gerne uns mir via Kontaktformular!

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