«Okay, dann: Tschüss! Die Mama geht jetzt nach Hause…!»

Wie mir ein Vormittag in der Badi wieder einmal aufgezeigt hat, dass noch immer viele Kinder mit Angst erzogen werden - Oder: Warum die Konfrontation mit Trennung nur vordergründig funktioniert

 
 

Vor den Sommerferien war ich mit meinen Kindern in der Badi (Schwimmbad) – und weil ich kein grosser Badi-Fan bin und überhaupt Menschenmassen gerne aus dem Weg gehe, waren wir an einem heissen Vormittag dort, als ausser einigen Pensionierten und ein paar Müttern mit Kleinkindern und Babies niemand das Wasser mit uns teilte.

Dabei ist mir wieder einmal aufgefallen, wie oft Eltern Kinder mit Angst erziehen – ja, mir scheint, dass das immer noch der Geheimtrick ist, um das Verhalten der Kinder in von uns erwünschte Bahnen zu lenken – oder soll ich lieber sagen: erwünschtes Verhalten zu erpressen.

Hier zwei der bestimmt zehn Beispiele, die sich mir an dem Vormittag präsentierten:

  • Eine Mutter versucht, den etwa dreijährigen Jungen aus dem Baby-Bad zu locken: Sie will nach Hause gehen, weil am Nachmittag noch Besuch kommt, der Einkauf noch erledigt werden will… - Alles gute Gründe, die die Mama dem Kleinen da präsentiert, doch scheinen die ihm ob der Anziehungskraft der Babyrutsche einfach nicht einzuleuchten. Da es ansonsten einigermassen ruhig ist, bekommen auch einige andere Mütter diese Situation mit und die Mutter fühlt sich offensichtlich beobachtet. Dass solche sozialen Settings extrem unangenehm sein können, kann ich sehr gut nachvollziehen: Wenn die Kinder par tout nicht hören wollen, wird einem die eigenen Machtlosigkeit vor Publikum auf dem Serviertablet vorgeführt... Auf jeden Fall packt die Mutter irgendwann kurzerhand und ziemlich entnervt die beiden Strandtücher, winkt ihrem Sohn zu und sagt: «Okay, dann: Tschüss! Ich gehe jetzt nach Hause – du kannst ja nachkommen!» - Die Spiel-Bubbel des Sohnes platzt augenblicklich, die Rutsche verliert ihre gesamte Anziehungskraft, er beginnt zu jammern, schreit «Nein, Mama, …!» und hat innerhalb von wenigen Sekunden zu seiner Mama, die bereits ein paar Schritte weit weg ist, aufgeschlossen.

  • Ein etwa zweijähriges Kind betrachtet mit meiner Jüngsten die Hasen, die in der Badi Belp in einem kleinen Stall mit Auslauf ganz zuhinterst im Kinderbereich wohnen. Und eben ist einer aufgewacht! Da kommt die Mama des Kindes und informiert es mit einem schlafenden Neugeborenen auf dem Arm und entsprechend gedämpfter Stimme, dass sie nun Pommes Frites essen gehen. Da die Information ihr Kind offensichtlich nicht erreicht, wiederholt die Mutter ihre Ansage noch einmal etwas lauter – mit ebenso wenig Erfolg. Dann kommt die säuselnde Variante zum Zug: «Malena, wir gehen Pommes Frites essen – dein Lie-hi-blings-Essen…» - doch auch diese Information dringt nicht zum Kind durch. Die Mutter zieht die Augenbrauen hoch, schüttelt verständnislos den Kopf und schaut zu mir, als ob sie sich von mir Verständnis erhofft, Dann sagt sie: «Also gut, Tschüss, Malena – wir gehen, bis später!» – Diese alarmierende Information dringt nach zwei Sekunden Verarbeitungszeit endlich zu Malena durch und sie hastet der Mama nach, die sich schon auf den Weg gemacht hat.

Diese Erziehungs-Methode funktioniert prima – zumindest bei kleinen Kindern und auf den ersten Blick: Die Kinder parieren und wir können ewige Diskussionen oder das Wutgebrüll vermeiden, das uns unweigerlich erwartet hätte, wenn wir das Kind einfach gepackt und weggetragen hätten. Und last but not least haben wir ja auch meist gute und stichhaltige Gründe und Argumente dafür, dass es jetzt Sinn macht, dass wir unseren Willen durchboxen.

Die Frage ist nur, mit welchen versteckten Kosten diese Erziehung mit Angst einher geht.

Und hier möchte ich gerne aufklären, denn wer keine Brille für das grosse Ganze der menschlichen Entwicklung hat, der kann auch die versteckten Kosten nicht sehen – doch diese sind massiv.

Wir triggern hier nämlich auf ganz unnötige Weise das Alarmsystem unserer Kinder. Aus Sicht der Kinder sind sie wie aus heiterem Himmel mit der allergrössten Bedrohung überhaupt konfrontiert: mit der Trennung von ihren Eltern. – Diese Bedrohung ist so gross, dass sie augenblicklich die Aufmerksamkeit des Kindes erhält und es aus der Faszination des erwachenden Hasen resp. der Babyrutsche reisst – etwas, was nicht einmal die Verlockung auf Pommes Frites geschafft hatte.  

Für uns Eltern ist die Situation meist abgeschlossen, wenn das Kind zu uns aufgeschlossen hat und wir in Richtung Garderobe oder Pommes Frites gehen können.

Im Inneren des Kindes aber hat das limbische System erst gerade seine Arbeit aufgenommen: Da werden nämlich drei mächtige Emotionen wie Kleidungsstücke in einer Waschmaschine durcheinander gewirbelt – Frustration, Alarm und das Nähestreben, auf welches wir bauen, wenn wir es dem Kind überlassen, uns nachzurennen und die physische Trennung zwischen uns zu schliessen.

Diese drei Emotionen sind zu stark, als dass sie gemeinsam gefühlt und gemischt werden können: Wie bei der Waschmaschine erscheint jeweils nur eines vorne an der Glastür*.

Wir setzen unsere Kinder also mit dieser Erziehungsmethode einem inneren Sturm aus, der uns oft verborgen bleibt, resp. sich erstmal nur in der Heftigkeit des «Nein, Mama, lass mich nicht alleine!» und in der Windeseile zeigt, mit dem unsere Kinder die Lücke zu uns schliessen. Doch der Sturm in ihnen tobt oft noch weiter, denn wir haben mehr als «nur» das Nähestreben getriggert! Die Frustration und der Alarm kommen allerdings oft erst später zum Zuge: Bei einer «grundlosen» Attacke auf das kleine Geschwister («Das kam aus heiterem Himmel – der Kleine hat ihr gar nichts getan!!») oder bei den Monstern unter dem Bett, die das Kind nicht einschlafen lassen.

Das meine ich mit versteckten Kosten, die die vordergründig erfolgreiche Erziehung mit Trennungsandrohung resp. Angst verursacht! Nur leider bringen wir die nachgelagerte Frustration resp. den verspäteten Alarm selten in Zusammenhang mit der aus unserer Sicht harmlosen Situation im Schwimmbad.

Und das sind auch noch nicht alle versteckten Kosten: Weit gravierender als der kurzfristige Frustrations- oder Alarmausbruch ist die Tatsache, dass wir mit dieser Erziehungsweise den Alarmknopf unserer Kinder viel zu oft drücken und sich so ihr Alarmsystem nicht richtig kalibieren kann. Wenn wir das Ganze übertreiben, führen Disziplinierungstechniken, die auf Alarm oder Trennung basieren dazu, dass unsere Kinder den Alarm gar nicht mehr spüren. Und das ist in der Tat höchst alarmierend! Unsere Kinder verlieren so nämlich diese innere Instanz, die sie zur Vorsicht mahnt, und die uns Menschen vor bedrohlichen Situationen bewahrt.

Die versteckten Kosten solcher angstbasierten Disziplinierungsmassnahmen sind also immens und übersteigen den kurzfristigen Nutzen (Kind gehorcht und kommt mit zu Pommes oder zur Umkleide) bei weitem!

Wie wir solche typischen Schwimmbad-Situationen bindungsbasiert oder entwicklungsfreundlich angehen können, ohne nach der Pfeife des Kindes zu tanzen, erfährst du - neben ganz vielen anderen nützlichen Erkenntnissen - im Intensiv-Kurs «Kinder mit ganzem Herzen sehen», der im August startet.

 

* Wer gerne mehr zur Konfrontation mit Trennung hören möchte, dem sei diese Podcast-Folge hier empfohlen.

Foto: anestiev Pixabay

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