«… und dann hol ich dich ab!»

Wie wir unsere Kinder liebevoll begleiten und dazu beitragen können, dass der Start in die Spielgruppe, den Kindergarten oder die erste Klasse gelingt

«Er wird das schon schaffen, er ist ja bereits fünf!» Oder: «Im Kindergarten war’s kein Problem, deshalb mache ich mir keine Sorgen, dass sie auch problemlos in die erste Klasse geht!»

Solche Äusserungen höre ich oft und so sehr ich mich auch über die so wichtige positive Grundhaltung freue: Oft schwingt da auch ein Unterton mit, der für mich etwas misslich klingt und der, wenn ich ihn überzeichnen und gross machen würde, in etwa so klingen könnte: «Ich erwarte von ihm, dass er das schafft – alle andern können das doch auch. Und für unsere Familie ist es wichtig, dass er problemlos dortbleibt, weil ich dann wieder arbeiten gehe/ich doch noch ein Neugeborenes zuhause habe». Oder: «Die Verantwortung dafür, dass es klappt, liegt bei ihr – ich kann ja nichts dafür, dass sie so scheu ist/manchmal so schwierig tut. Und egal, was ich in solchen Situationen mache: Es hilft eh nicht - ich kann da nix machen

Verantwortung übernehmen

Hier wird quasi auf den Punkt gebracht, welche Haltung mir so sehr am Herzen und all den praktischen Aspekten weiter unten zu Grunde liegt: Wir dürfen von unseren Kindern nicht erwarten, dass sie solche Schritte problemlos meistern und auch noch die Verantwortung dafür tragen! Sie sind schlicht und von Natur aus noch nicht reif genug, um unabhängig von Bindungen funktionieren zu können! Wenn wir sie einfach sich selbst überlassen, ist die Chance gross, dass wir sie einer Verletzlichkeit aussetzen, die zu gross ist für sie und die sie zwingt, sich zu panzern, um das nicht alles zu fühlen.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Eltern hier die Verantwortung übernehmen und das Kind in Sachen «Bindung» nicht im luftleeren Raum stehen lassen!

Was wir konkret tun können, versuche ich hier mit praktischen Beispielen aufzuzeigen:

Bindung ist der Schlüssel

Unsere Kinder können noch nicht lange ohne Bindung an fürsorgliche Erwachsene funktionieren – diese Fähigkeit ist eine der vielen Früchte der natürlichen Entwicklung, die Zeit zum Reifen brauchen. In Bezug auf den Kindergarten-, Schul- oder Spielgruppen-Start bedeutet das, dass wir gut tun

  1. dazu beizutragen, dass unsere Kinder tief und sicher an uns gebunden sind und während den drei-vier Stunden Kindergarten innerlich an uns festhalten können

  2. dafür zu sorgen, dass sie sich ganz natürlich an andere Erwachsene, bspw. die Kindergärtnerin, binden können.

Festhalten einfach machen

Wenn unsere Kinder tief und sicher an uns gebunden sind, fällt es ihnen einfacher, vom sicheren Hafen aufzubrechen. Bindung und Beziehung entwickelt sich aber nicht auf Knopfdruck und es funktioniert auch nicht, wenn man eine bindungsbasierte Familienkultur im Hinblick auf ein Ereignis boostern will und sie dann wieder versanden lässt – sie sollte an den allermeisten der 365 Tage im Jahr spielerisch gepflegt werden. Aber vielleicht ist ja trotzdem der Kindergarten-Start ein guter Anlass, um sich das wieder etwas mehr vorzunehmen?

Ich werde immer wieder gefragt, wie das mit der Bindung denn ganz praktisch geht? – Nun, es ist vor allem eine innere Haltung und weniger eine Technik. Eine Möglichkeit, um diese Haltung zum Ausdruck zu bringen ist es, die sechs Bindungsstufen zu bespielen. Wie das ganz grundsätzlich geht, habe ich im Blog-Eintrag «Die Bindungs-Wurzeln bespielen» zu beschreiben versucht.

Im Hinblick auf den Kindergarten- resp. Schulstart, haben mein Mann und ich jeweils versucht, die Zugehörigkeit und Loyalität zu bespielen, indem wir für und später mit unseren Kindern farbige Bändeli knüpften: Meine Tochter hatte dann bspw. dasselbe Band am Armgelenk wie ich. Das haben wir natürlich auch immer wieder spielerisch betont, indem wir die beiden Bändeli zusammengehalten haben: «Hej, mir hend jo s’gliiche Bändeli – heisst das, mir ghöred zäme?!?» (Gerade auch beim Abschied vor dem Kindergarten ist dieses Ritual hilfreich).

Ausserdem haben wir unseren Kindern auch immer etwas gebastelt auf den Schulanfang – die Kinder haben das mitbekommen und gesehen, wie viel Zeit und Liebe und somit Wertschätzung wir hineingesteckt hatten (und oft haben sie daneben mitgebastelt oder mitgemalt). In dieses Geschenk haben wir dann mit unseren Kindern und mit einem kleinen Ritual ganz viel Kraft und Liebe gepackt und es unseren Kindern am Abend vor dem Schulanfang geschenkt resp. gemeinsam an den Rucksack geknüpft.

Die Rucksack-Anhänger mit den Lieblingstieren unserer Kinder

Im Vorfeld und beim Start: Scripting

Da unsere Kinder nicht wissen, was sie in der Spielgruppe oder im Kindergarten erwartet, sollten wir ihnen helfen, sich ein Bild zu machen, indem wir quasi ein Skript dafür schreiben – das nimmt etwas die Angst vor dem Unbekannten. Ich versetzt mich dann jeweils in die Lage meines Kindes und überlege mir, welche Schritte und Details an diesem Tag alles auf es warten - so übersehe ich auch die Dinge nicht, die bei mir automatisiert ablaufen (bspw. Anziehen oder Zähneputzen). Oder ich stelle mir vor, dass ich mein Kind wäre und es dem Lieblings-Stofftier erzähle - da wird mir dann jedes Mal klar, wieviele kleine und grosse (Entwicklungs-)Schritte an so einem Tag auf das Kind warten.

So ein Skript darf also ruhig ausführlich sein, Fragen enthalten («was packen wir schon wieder in deinen neuen Kindergarten-Rucksack?») und auch die Unsicherheiten ansprechen («Ich weiss nicht, wie lange ich bleiben darf am ersten Morgen, aber ich werde das noch abklären») - und vor allem darf es wieder und wieder vorgetragen und daraus ein Spiel gemacht werden: (Kleine) Kinder lieben das!

Beim Start: Den Bindungs-Stab bewusst übergeben

Da unsere Kinder nicht dafür gemacht sind, ohne fürsorgliche Bezugspersonen zu sein, ist es wichtig, dass wir unsere Kinder ganz bewusst der Kindergarten-Lehrperson oder der Spielgruppen-Leiterin übergeben, und zwar für unsere Kinder «bewusst». Wie machen wir das? – Natürlich können wir unseren Kindern erklären, dass Frau Lüthi oder Herr Tschanz jetzt zu ihnen schaut, ihnen bei Fragen oder beim Gang auf die Toilette hilft und sie sich jederzeit an sie wenden können. Das ist richtig und wichtig, denn unsere Kinder werden sich im Notfall («Ich habe mich geschnitten» oder «Ich muss aufs Klo!») daran erinnern,…

… aber noch viel wichtiger ist, dass sie sehen, dass wir Eltern eine gute Beziehung zu Frau Lüthi oder zu Herrn Tschanz haben.

Es ist also wichtig, dass wir (am besten schon vor dem ersten Kindergarten-Tag) kurz - oder gerne auch länger - mit der Kindergarten-Lehrperson sprechen, den Blickkontakt suchen und ihr ein Lächeln und ein Nicken schenken – und zwar so, dass unsere Kinder das mitbekommen! Das ist quasi die Übergabe des Bindungs-Stabes und so laden wir sie explizit in unser Bindungsdorf ein und machen es unseren Kindern leicht, sich an sie zu binden. Das ist gerade bei scheuen Kindern sehr (!) wichtig und muss vielleicht mehrmals und ganz explizit wiederholt werden.

Beim Start: Überbrücken

Wenn es dann so weit ist und wir unser Kind alleine lassen, ist es wichtig, dass wir die Brücke schlagen und den Fokus auf unser nächstes Zusammen-Sein legen (so wie das in «Auf Wiedersehen» oder in «Au Revoir» enthalten ist): «Bis am Mittag, chliini Bohne – ich freue mi uf di und warte gnau do uf di!»

 

Was wir tun können resp. nicht tun sollten, wenn trotzdem nicht alles rund läuft beim Start in den Kindergarten, die Spielgruppe oder die erste Klasse, schauen wir uns in einem nächsten Blog-Eintrag. Und mehr zum Thema gibt es auch in unserem Intensiv-Kurs und in unserer aktuellen Podcast-Serie «Kinder unter 7 verstehen».

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Warum «bindungsbasiert» so wichtig ist

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Was wir unseren Kindern mitgeben sollten