Warum «bindungsbasiert» so wichtig ist

Bindungsbasiert ins neue (Schul-)Jahr - ein vierteilige Serie für Lehrerinnen, Lernbegleiter, Kindergärtner und Spielgruppen-Leiterinnen (1/4)

In wenigen Wochen ist es wieder soweit und für zahlreiche Kinder mit Windeln, Wackelzähnen oder gar Zahnlücken fängt mit dem Start der Spielgruppe, des Kindergartens oder der Schule ein neues Kapitel an. Und so sehr sich die meisten wohl freuen, endlich auch «gross» zu sein, einen Leuchtstreifen zu bekommen, all die tollen Spielecken auszuprobieren oder Lesen zu lernen - bei den allermeisten schleicht sich wohl auch ab und zu ein ungewisses Gefühl ein, das die absehbare Trennung von Mama und Papa mit sich bringt.

Bei manchen mag im Vorfeld die Vorfreude auf den «Schatz» überwiegen, bei anderen der «Drache» der Trennung - doch für beide gilt:

Am ersten Tag des neuen Schuljahres gibt es kein grösseres Geschenk für Kinder als eine fürsorgliche (Kindergarten-)Lehrperson, bei der sie sich wohl, sicher, aufgehoben und umsorgt fühlen und an die sie sich binden können.

Warum das so ist und was Kindergärtner*innen dazu beitragen können, dass das mit der Bindung klappt, wollen wir in dieser Blog-Serie ergründen.


Nicht für «Trennung» gemacht

Je kleiner (oder unreifer) ein Kind, umso weniger ist es für Trennung gemacht und umso grösser ist sein Bedürfnis nach Nähe und Kontakt, also sein «Bindungshunger».

Bei Trennungen innerlich an seinen Bezugspersonen festhalten zu können, ist eine der Schlüssel-Fähigkeiten von uns Menschen, deren Entwicklung sich im Minimum resp. unter günstigen Bedingungen über die ersten sechs Lebensjahre hinzieht.

Und ganz wichtig zu verstehen: Kinder lernen Selbständigkeit nicht, in dem sie in die Unabhängigkeit geschubst oder zur Eigen-Ständigkeit erzogen werden – im Gegenteil: Wenn Kinder mit unerträglicher Trennung konfrontiert sind, geraten sie in einen inneren emotionalen Sturm, dem sie schlicht nicht gewachsen sind. Die Konfrontation mit solchen emotionalen Schleudergängen stellt nicht nur uns Erwachsene (Eltern wie Kindergärtner*innen) vor grosse Herausforderungen (oder löst gar bei uns emotionalen Turbulenzen aus), sie überfordert vor allem auch unsere Kinder – mit dem Resultat, dass ihr Herz (eigentlich: ihr Hirn) sich gegen diese unerträgliche Verletzlichkeit panzern muss (was bei chronischer Panzerung zu Entwicklungsblockaden führt).


Die Lösung der Natur: Mehr Bindung, nicht weniger!

Die Lösung der Natur für die Unfähigkeit, Trennung zu ertragen ist (paradoxer Weise) mehr Bindung, und nicht weniger! Denn je mehr Arten ein Kind hat, um sich an seine Bezugspersonen zu binden, umso weniger ist es auf körperlichen Kontakt und physische Anwesenheit angewiesen (Stichwort «Bindungswurzeln»).

Ein Kind muss nicht lernen, mit Trennung fertig zu werden – es muss die Fähigkeit entwickeln, an uns festzuhalten, wenn wir getrennt sind.

Die Spielgruppe, der Kindergarten oder auch die Schule stellen hier also grosse Herausforderungen dar, denen viele Kinder noch nicht gewachsen sind, die sie – so will es unsere Gesellschaft – aber dennoch meistern müssen.

Und hier kommt Kindergärtner*innen, Spielgruppen-Leitern und Lehrer*innen eine so unglaublich wichtige – ich wiederhole: unglaublich wichtige! – Rolle zu: In dem sie den Kindern ermöglichen, sich (temporär) an sie zu binden, helfen sie ihnen, die Trennung zu den Bezugspersonen zu überbrücken und ihre Herzen somit weich zu halten.

Und das trägt dazu bei, dass Kinder all ihre Energie und ihre Ressourcen in das investieren können, was eigentlich ihr Metier ist: Echtes Spiel, Wachsen, Lernen, Entdecken und sich an den Wundern des Lebens erfreuen!

Das ist aber noch lange nicht alles: Welches Potential in der Beziehung an die Lehrer:in schlummert, beschreibe ich in meinem Blog-Eintrag «Ein Plädoyer für humanistische Schul- und Unterrichts-Entwicklung».

Und: Was es braucht, damit sich Kinder an ihre Kindergärtnerin, ihren Lehrer oder ihre Spielgruppen-Leiterin binden und warum hier der Staffel-Stab der Bindung eine wichtige Rolle spielt, schauen wir uns im nächsten Blog-Eintrag an.

 


PS. Der Einfachheit und Lesbarkeit halber beschränke ich mich im Text auf den Kindergarten und auf Kindergarten-Lehrpersonen und überlasse es der Leserin und dem Leser, die Schule mitsamt der Lehrerin und dem Lernbegleiter resp. die Spielgruppe mit der Spielgruppen-Leiterin hinzuzufügen und die Beispiele auf die jeweilige Stufe zu adaptieren.

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