Bin ich hier eigentlich der Abfallkübel?!?

Welche «bahnbrechende» Erkenntnis im Umgang mit kindlichen Emotionsausbrüchen hilft

In den letzten Wochen wurde ich von mehreren Müttern in etwa dasselbe gefragt:

«Simona, muss ich die Gefühlsausbrüche meiner Kinder einfach über mich ergehen lassen? Gibt es da keine Grenzen, die ich durchsetzen, keinen Anstand, auf den ich beharren kann? Muss ich mir alle erdenklichen Schimpfwörter anhören und über mich ergehen lassen? Solche Ausbrüche dauern manchmal sehr lange, das kannst du dir gar nicht vorstellen (Anmerkung: Und ob ich das kann!) und irgendwann komme auch ich an meine Grenzen, das ist doch normal. Ich fühle mich manchmal wie der Abfallkübel meiner Kinder: Hier kotzen sie alles raus resp. rein, was da in ihnen gärt oder explodiert – aber das kann es doch nicht sein!»

So oder ähnlich haben sich wohl die meisten Eltern schon gefühlt und wenn ich mit solchen Fragen oder Aussagen konfrontiert bin, kommen mir gleich zig Klärungsfragen und Inputs in den Sinn. Einen solchen Aspekt möchte ich mal rausfischen:

Ob wir es glauben oder nicht, in solchen Situationen und hinter solchem Verhalten steckt in den allermeisten Fällen ein Kompliment!

Ich bin so frei und formuliere das mal um, in eine Sprache, die die meisten Kinder (egal welchen Alters) und auch viele Erwachsene (auch egal welchen Alters ;o) nicht resp. nicht immer beherrschen:

«Mama, mir ist alles gerade zu viel, viel zu viel -ich habe in der Schule/auf dem Nachhauseweg/im Training etc. Verletzungen erfahren, weisst du, nicht schlimm, aber mir tut das dennoch weh - kleine Herabsetzungen oder Beschämungen und so. Und in der Schule wird mit so viel Druck gearbeitet, nicht explizit, eher so unsichtbar, und wehe, wenn ich was vergesse, dann werde ich/fühle ich mich blossgestellt. Das alles ist irgendwie zu viel für mich, aber irgendwie muss es raus – es fühlt sich so übellaunig-stinkig-schrecklich an und frisst mich von innen heraus auf. Ich habe den ganzen Tag darauf geachtet, dass es nicht rauskam – das hätte alles nur noch schlimmer gemacht! Aber jetzt, wo ich zuhause bin, habe ich keine Kraft mehr, um mich zusammenzureissen. Das hier ist ja mein Zuhause, hier fühle ich mich sicher, hier darf ich sein, wie ich bin - und ich weiss, dass du mich immer liebst, auch mit dem ganzen Sch… …rott in mir. Ich bin so froh, dass es diesen Ort und dass es dich gibt, Mama!»

Und vielleicht würde das Kind dann auch noch Folgendes sagen:

«Und als du mich eben gefragt hast, ob ich dir etwas aus dem Keller holen kann, da ist es einfach rausgekommen – viel zu stinkig/fies/laut/aggressiv/giftig, so wollte ich dir gar nicht antworten. Ich wollte dich nicht beschimpfen, ehrlich, aber es ist einfach so aus mir rausgebochen, ich konnte da gar nichts dagegen machen! Weisst du denn, wie ich das besser machen kann, wenn der Druck innerlich so gross ist? - Und weisst du, das hat sich im Fall schrecklich angefühlt, weil ich in deinem Gesicht gesehen habe, dass es dich verletzt – aber das konnte ich in dem Moment nicht auch noch fühlen!!! Und dann hat es sich gleichzeitig auch gut angefühlt, weil so etwas von dem Druck in mir gewichen ist. Das war alles grad so verwirrend und ich wusste dann auch grad nicht, wie weiter… - Und dann hast du mich so tadelnd/ratlos/vorwurfsvoll/verletzt angeguckt, und dann ist gleich noch ein Schwall rausgekommen, weil ich nicht mehr korrigiert/in Bahnen gewiesen/von oben herab behandelt werden will und weil es für mich einfach zu viel ist, wenn da noch mehr Emotionales drauf kommt, dass ich dich verletzt habe und so.»


So wichtig ich diese Umformulierung auch finde – in der Realität macht sie die oben beschriebenen Situationen wohl nur ein kleinwenig erträglicher. Was hilft denn sonst noch? – Hier eine aus meiner Sicht ganz grundlegende Erkenntnis, die (mir) weiterhilft:

Wenn aus unseren Kindern so viel faulige Frustration rauskommt – sei es mit Fäusten, Schimpfworten oder fiesen Triezereien – dann erleben sie gerade irgendwo in ihrem Leben mehr Frustration, als sie «handeln» können. (Das ist schon mal eine Erkenntnis für sich - und die spannende Frage hier ist: Was frustriert mein Kind so, was ist zu viel in seinem/ihrem Leben und können wir als Eltern da irgendwo ansetzen? - Aber darum geht’s hier grad nicht).

Irgendwas läuft also nicht so, wie das Kind es sich vorstellt und es ist – Achtung, jetzt kommt es - NOCH NICHT REIF GENUG*, um besser oder eben «reifer» damit umgehen zu können.

Diese Erkenntnis, dass Kinder (und auch Jugendliche!), egal wie cool sie sich geben oder wie erwachsen ihre Allüren scheinen, per se noch unreif sind, erscheint mir immer wieder «bahnbrechend» - und zwar in dem Sinne, als dass sich manchmal auch in mir emotionale Sturmreaktionen an-bahnen, ich sie mit dieser Erkenntnis aber rechtzeitig brechen und in sich zusammenfallen lassen kann.

Wenn ich mir zugestehe, dass ich grundsätzlich und in solch emotionsgeladenen Situationen sowieso die reifere Person im Raum bin, und dass mein kindliches/jugendliches Gegenüber gerade an seiner/ihrer Unreife scheitert, dann bringt mich das in die (Alpha-)Position, die ich brauche, um mich nicht provozieren oder triggern zu lassen. Ich versuche in diesen Situationen wirklich, in meine Kinder hinein zu sehen und sehe sie dann in all ihrer Verzweiflung, Überforderung, Unreife und Hilfsbedürftigkeit. Das meine ich, wenn ich davon spreche «hinter» die Fassade des Verhaltens zu schauen - unsere Kinder so zu sehen, wie sie in (in dem Moment) gerade sind. Und: Wer lässt sich denn schon von einem Windel-Kind aus der Fassung bringen?

Diese «bahnbrechende» Erkenntnis hilft mir, in solchen Situationen innezuhalten, mich in meine Person als fürsorgliche und (hoffentlich) reife Mutter einzufühlen und dann entsprechend zu reagieren.

Die Frage ist jetzt natürlich, wie dieses «entsprechend reagieren» aussehen könnte?

Hierfür gibt es keinen magischen Trick, aber ein paar weitere sehr hilfreiche Erkenntnisse und Guidelines – und auf die gehe ich in meinem Intensiv-Kurs «Kinder mit ganzem Herzen verstehen» ein.

Und noch zur Abfallkübel-Frage: Ja, manchmal sind wir das wirklich. Und ja, das ist herausfordernd und nicht immer angenehm. Der Punkt ist einfach: Irgendwo muss der Müll - oder anders gesagt «die noch nicht verdauten Emotionen» - raus, den/die unsere Kinder und Jugendlichen tagtäglich erleben und aufnehmen. Und für unsere Kinder ist es besser, wenn das Müllrauslassen resp. das Emotionen-Ausdrücken nicht noch mehr unverdaubare Emotionen nach sich zieht, sonst gibt’s Stau im System und der ist ungesund - und deshalb ist der sichere Hafen fürs Abfall-Entsorgen/Emotionen-Ausdrücken so wichtig. Denn wenn der Stau chronisch wird, verschliessen sich unsere Kinder vor noch mehr Emotionen - und auch das ist ungesund, dann bleiben sie in ihrer Entwicklung stecken.

Wir haben also ein schweres Los als Eltern - und eine der wichtigsten Aufgaben der Welt: Unsere Kinder darin begleiten und unterstützen, dass sie mit all ihren Emotionen in eine Beziehung treten und sie zivilisiert und spielerisch ausdrücken, benennen, fühlen, mischen und reflektieren können…

… dann brauchen sie uns nicht mehr als Abfallkübel, sondern als Partner für intime und tiefe Gespräche - und das finde ich immer wieder unglaublich nährend und berührend, und macht das Abfallkübel-Sein erträglicher.

 

* Was heisst das, noch nicht reif genug? - Wenn Kinder mit der Frustration, die sie im Leben erleben, nicht «reif» umgehen können, heisst das: Sie können das, was frustiert und nicht so läuft, wie sie es gerne hätten/es ihnen gut tun würde, weder ändern, noch können sie fühlen, dass es traurig ist, dass das so ist - und sie können diese Frustration in dem Moment auch nicht mischen mit anderen Gefühlen (bspw. Gefühlen der Fürsorglichkeit oder Liebe). Und das führt dann zum lauten oder leisen, gegen innen oder gegen aussen gerichteten Aggressions-Ausbruch.

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Das lange 4. Trimester nach der Geburt