«Hier bin ich der Chef!»
Der kleine Junge war sehr bestimmend, liess sich weder etwas sagen, noch helfen. Er wusste alles besser und ihn anzuleiten oder zu führen, war beinahe unmöglich. Seine Mutter war am Ende mit ihren Nerven und mit ihrer Kraft. Sie hatte doch alles richtig machen wollen und viel besser als ihre Eltern. Sie hatte sich vorgenommen, auf die Bedürfnisse ihres Kindes einzugehen und sie stets zeitnah zu erfüllen. Sie wollte ihr Kind ohne Zwang, Druck und Strafen erziehen und keine Machtkämpfe ausfechten. Doch nun hatten sie gefühlt ständig Konflikte. Sie wollte ihr Kind in einer Ja-Umgebung grossziehen, doch nun akzeptierte es überhaupt kein «Nein» mehr. Ging es nicht nach dem Willen des Kindes, standen die Lichter augenblicklich auf «Sturm».
«Du hast ein bedürfnisintensives Kind!» «Hochsensibel!» «ADHS!?» «Ein starker Wille!» so lauteten die Einschätzungen anderer Eltern.
«Dem Kind müssen mal die Grenzen aufgezeigt werden» oder: «Der muss mal wissen, wo der Bartli den Most holt!» (Schweizer Sprichwort), so die Ratschläge von Eltern und Schwiegereltern.
Mit all dem konnte die Mutter nicht so viel anfangen, denn es gab noch ein weiteres Phänomen, dass sie sehr beunruhigte: Ihr Kind hatte grosse Trennungsprobleme, liess sich von kaum jemand anderem als von den Eltern betreuen. Und abends litt er oft unter grossen Ängsten. Da gab es Monster unter dem Bett, Käfer auf der Bettdecke und Räuber, die durch den Garten schlichen. Oft konnte er auch erst einschlafen, wenn Mama und Papa auch im Bett lagen. Am schlimmsten war es, wenn die Mama abends noch wegmusste. Dann war an Schlaf nicht zu denken und meist kam es zu einem grossen Drama, was zur Folge hatte, dass die Mutter schon gar nicht mehr weg ging.
Kinder wie dieser Junge sind in einer grossen Not, denn obwohl die meisten ihrer Wünsche sofort erfüllt werden, fehlt ihnen etwas Grundlegendes: Eltern, die in der Alpharolle sind. Kinder brauchen Eltern, die ihnen vorausgehen, an denen sie sich orientieren können. Eltern, die die Führung übernehmen und anleiten, Eltern, die stark sind und so auch einen Ort der Sicherheit und des Schutzes bieten.
Kreisen Eltern nur um die Bedürfniss, oder oft vielmehr: um die Wünsche des Kindes und «verbrezeln» sich, um dem Kind alles recht zu machen und alle Steine aus dem Weg zu räumen, wirken sie auf Kinder schwach und vielleicht sogar bedürftig. Ein Kind, das nicht geführt wird, übernimmt selbst die Führung, das ist in unseren menschlichen Instinkten so angelegt.
Wir sprechen dann von einem Alphakind, einem Kind also, dass die Führungsposition in der Familie innehat und zumindest gefühlt die Verantwortung für die Familie trägt.
Alphakinder sind meist in grosser Not, denn die Last, die sie tragen, ist viel zu schwer für sie. Das äussert sich in Wutanfällen, wenn es nicht so läuft wie sie es möchten, und es äussert sich in Alarm, Ängsten und Trennungsproblemen.
Mit jener Mutter habe ich besprochen, was es heisst, als Eltern «im Alpha» zu sein. Wir haben uns in der Tierwelt umgesehen und uns überlegt, welches Bild ihr helfen könnte, immer wieder in diese Alpha-Rolle zu schlüpfen. Für sie war es die Hunde-Mama. Eine Hunde-Mama geht voraus, führt ihre Jungen an. Sie spielt mit ihren Welpen, bestimmt aber das Ende, usw.
Innert einigen Wochen übernahm sie immer mehr diese Alpha-Rolle und durfte erleben, wie ihr Kind sich ihr anschloss und wie wieder Ruhe in die Familie einkehrte.
Beim zweiten Kind liess sie es gar nicht so weit kommen. Sie übte sich darin, zu unterscheiden, was wirkliche Bedürfnisse und was Wünsche waren, eine Ja-Umgebung zu schaffen und gleichzeitig klare Grenzen zu setzen, dem Kind einen Entscheidungs-Spielraum zu geben und klar zu führen, usw.
Denn Kinder brauchen Eltern, an denen sie sich orientieren können, die fürsorglich und stark sind!
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