«Sie hat das Innen zu uns gebracht»
Eine kleine, grosse Geschichte vom Innen und vom Aussen
Vor einigen Tagen hat eine Freundin in einer kleinen Runde folgende Geschichte geteilt, die mich sehr berührt und nachdenklich gemacht hat (und auch «nach-fühl-lich», aber dieses Wort gibt es wohl nicht).
Doro, so werde ich sie hier nennen, hat von ihrer Grossmutter erzählt, die für die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens ans Bett gefesselt war. Und sie hat davon erzählt, wie sie als kleines Mädchen jeweils mit dem Velo an Grossmutters Haus vorbeigefahren ist – schön langsam, um auch sicher «das Grosi» zu sehen, das durchs Fenster schaute und ihr jedes Mal mit einem Lächeln zuwinkte. Sie hat davon erzählt, wie ihre Grossmutter nie verzagte, wie sie ihre Behinderung einfach annahm und stets zufrieden und heiter schien. Das muss die kleine Doro – verständlicherweise – tief beeindruckt haben. Und Doro erzählt uns auch, wie sie sich oft die Zeit genommen hat, um kurz vom Velo ab- und die Treppen hoch zu steigen, um ihrer Grossmutter einen Besuch abzustatten und ihr vom Aussen zu erzählen:
«Wir haben das Aussen zu ihr gebracht, und sie hat das Innen zu uns gebracht – das war für beide so wertvoll».
Diese Geschichte hat nachgeklungen in mir. Natürlich weil auch ich tief beeindruckt bin von Menschen, die ihr Schicksal so annehmen und das Weiche, Warme und Zuversichtliche so leben können wie Doros Grossmutter. Doch insbesondere dieser eine Satz (und insbesondere das «Sie hat das Innen zu uns gebracht») hat mich begleitet die letzten Tage – und damit verbunden auch ganz viele Fragen und Denkanstösse (und natürlich auch «Fühl»-Anstösse, doch dieses Wort gibt es wohl auch nicht):
Wie steht es um unser Innen-Aussen-Gleichgewicht: Können wir all dem Aussen, das uns umtreibt, auch ein Innen gegenüberstellen – so dass sie sich gegenseitig auffangen und ausbalancieren?
Was ist das eigentlich – das Innen? Die «Auseinander»-Setzung mit den eigenen Gedanken und Gefühlen und die «Zusammen»-Setzung» ebendieser zu einem grossen und ganz eigenen Ganzen? Die Fähigkeit einfach zu sein?
Vorausgesetzt, das Aussen wird immer lauter, schneller, komplexer, schriller – was macht das mit unserem Innen? Darf das dann auch noch laut und schnell und komplex werden und mal schrillen – oder fallen wir dann aus dem Gleichgewicht? Oder wird das Innen dann leiser, bis es ganz verstummt…?
Und dann kam für mich die unweigerliche Frage: «Was ist mit unseren Kindern?» - Und das brachte noch viel mehr Fragen und Denk- resp. Fühlanstösse auf:
Wie steht es um ihre Balance zwischen Aussen und Innen – und wer ist verantwortlich dafür? Oder anders gefragt:
«Wer bringt das Innen zu unseren Kindern?»
Wann und wie lernen sie ihr Innen kennen – oder geht es eher darum, dass sie es nicht verlernen/verlieren/vergessen?
Worauf liegt unser Fokus als Eltern, als Lehrer*innen, als Gesellschaft…? Und macht das Sinn (oder ist es einfach nur prima messbar?)
Und was passiert mit Kindern, die kein «Innen» mehr finden...?
…
So drehte, resonierte und räsonierte das in den letzten Tag in mir drin. Nicht, dass ich Antworten auf all diese Fragen gefunden hätte…! - Und doch habe ich vier Antworten in diesen Fragen wiedergefunden:
Bindung, Emotionen, Ruhe und Spiel*.
Das ist das, was unseren Kindern den Weg ins und den Wert des Innern (auf)zeigt; das ist das, was sie in Balance bringt: das ist das, was sie unbedingt und wirklich brauchen, in einer Welt, in der das Aussen so wichtig, so laut und so schnell geworden ist.
*Mehr dazu in unserer Podcast-Serie «Was Kinder & Jugendliche wirklich und unbedingt brauchen».