Was Mobbing mit Bindung zu tun hat

Wie Bindung vor den unerträglichen Auswirkungen von Mobbing schützt – oder eben gerade nicht: Die persönlichen Erfahrungen von Angela und Simona

Mobbing kann töten, zumindest ein wenig, das habe ich selbst erfahren. Es setzen zwar Gottseidank nur die allerallerwenigsten Mobbing-Opfer ihrem Leben ein Ende, doch ein innerer Anteil – das innere Kind? – stirbt bei langanhaltendem Mobbing, zumindest war das bei mir so.

Dass das nicht sein muss, dass Mobbingerfahrungen zwar ganz schlimm, aber nicht «tödlich» sein müssen, habe ich erst viel später realisiert.

Dabei war es schon in meiner Kindheit und Jugend offensichtlich: Einige scheinen sich als Mobbing-Opfer wenig zu eignen und einige trifft Mobbing zwar, aber nicht bis ins Innerste ihres Herzens – sie sind, um es zeitgemäss auszudrücken, «resilienter». – Wie das? Und vor allem:

Was kann ich heute als Mutter dazu beitragen, dass Mobbing für meine Kinder nicht «tödlich» ist, sondern einfach «eine Erfahrung», eine schlimme und unangenehme zwar, aber eben auch nicht mehr?

In Mobbing zeigt sich die Kraft und das Potential von Bindung

Nun, über Mobbing ist schon sehr viel Sinnvolles gesagt und geschrieben worden (wie wir Mobbing erkennen, welche methodischen Ansätze Mobbing beenden (können) etc.), so dass ich mir erlaube, das Augenmerk hier «nur» auf den Faktor Bindung zu legen – im Wissen darum, dass ich einiges weglasse (das ist ja auch keine Weiterbildung, sondern nur eine Blog-Reihe ;o).

Durch meine heutige Brille betrachtet sehe ich in meiner eigenen Mobbing-Erfahrung von damals nämlich vor allem das: Bindungs-Dynamiken, die schützen oder eben schutzlos lassen (und die dazu beitragen, dass Kinder eher zu «Mobbern» oder «leichter Beute» werden, aber darüber dann mehr in den nächsten Blog-Einträgen).

Nichts illustriert das für mich deutlicher als die unterschiedlichen Mobbing-Erfahrungen von Angela und mir:

Bindung als Schutzschild

Angela hat in ihrer Kindheit und Jugend jahrelanges Mobbing erlebt und sie sagt:

«Es erstaunt mich heute, dass ich so wenig Schaden davongetragen habe! Das heisst, seit ich den bindungsbasierten Entwicklungsansatz kenne, erstaunt es mich eben nicht mehr: Ich sehe jetzt, dass ich damals geschützt war und dass da ein unsichtbarer Schutzschild um mich war.»

Nun ist Mobbing ja nicht ein einzelnes Ereignis, sondern eben gerade wiederholtes und regelmässiges Schikanieren, Quälen oder Verletzen einer Person – und doch hilft es, die unterschiedlichen Mobbing-Erfahrung von Angela und mir anhand von zwei Situationen fassbar zu machen.

In unseren Kursen beschreibt Angela das jeweils wie folgt:

«Ich sitze am Boden und die Kinder um mich herum Spielen Stein-Fangis. Sie machen sich über mich lustig, lachen mich aus und versuchen, mit den Füssen statt den Stein mich zu treffen – das war schrecklich. Und ich weiss noch, wie ich mich da innerlich einfach auf den Schoss von meinem Vater gesetzt habe. Dort fühlte ich mich geliebt und liebenswert. Ich wusste, dass all das Üble, was die da sagten, nicht stimmt, ja, gar nicht stimmen kann, weil mein Vater mich ja so anders sieht.» (Angela)

Die Pfeile - also Verletzungen wie sie bei Mobbing geschehen - erreichen dank dem Schutzschild «Bindung» nicht das Herz (Abbildung aus unseren Kursen).

Schutzlosigkeit führt zu Panzerung

Meine eigene Mobbing-Geschichte, ebenfalls aufgemacht an einer Situation, sieht so ganz anders aus:

«Wir sind im Trainingslager des Turnvereins, in einer Zivilschutzunterkunft. Alle Mädchen schlafen in einem Massenschlag mit dreistöckigen Kajütenbetten. Es ist später Abend, wir sollten eigentlich schlafen oder zumindest ruhig sein, doch alle anderen haben sich in den obersten Betten versammelt und tuscheln und lachen über mich. Ich habe mich in die unterste Etage zurückgezogen, dort, wo sonst niemand schläft. Ich kämpfe mit den Tränen, die niemand sehen soll, weil ich zu stolz bin und weil das nur Anlass zu noch mehr Gelächter geben würde. Ich fühle mich unendlich allein. Auch wenn ich die Ohren zuhalte, höre ich das Getuschle und vor allem das Gelächter. Aus der Situation raus kann ich nicht, die Leiter würden mich einfach zurückschicken, sie verstehen nichts von solchen Dingen und wollen ihre Ruhe.» (Simona)

Auch wenn ich es damals als sooo ungerecht empfunden habe: Irgendwo in mir war dennoch und unbewusst abgelegt, dass das wohl schon seine Berechtigung hat. Nicht, dass ich das damals hätte benennen oder gar fühlen können – es war mehr eine diffuse und dunkle Ahnung, dass irgendwas an mir falsch sein muss, sonst würde das ja nicht geschehen. Einen anderen Referenzpunkt, also eine Person, die mich wirklich kannte und bei der ich mit allem, was zu mir gehört, egal ob laut oder leise, hell oder dunkel, «eingeladen» war und die mich anders sah als die lästernden Mädchen gab es bei mir nicht.

«Auf alle Fälle «beamte» auch ich mich weg, allerdings nicht auf den Schoss meiner Eltern, sondern in die Prärie: Ein Indianer wollte ich sein, so stolz, stark und innerlich gestählt, dass all das an mir abprallen würde – ein Krieger, der sicher nicht weint.» (Simona)

In meinem heutigen Worten habe ich mich damals «gepanzert» - zum einen bewusst, in dem ich mir mit dem Indianer eine neue Identität zuzulegen versuchte, zum andern aber auch unbewusst: Die Erfahrung war zu verletzlich, um sie zu fühlen, deshalb hat mein Hirn entschieden, solche Gefühle einfach zu dämpfen oder gar nicht mehr zuzulassen und entsprechend teilweise auch rauszufiltern. Das geschah unbewusst, war aber ein sehr weiser Entscheid meines Gehirns, mit dem es mich vor unerträglicher Verletzlichkeit schützte und so die Grundfunktionen meines Organismus sicherstellte. Aber etwas starb in mir.

Ungeschützen Herzen bleibt nur die Panzerung (Abbildung aus unseren Kursen)

 

Bindung als sicherer Raum zum Fühlen

Es ist schwierig und vor allem sinnlos zu fragen, welches Mobbing schlimmer war – das, was Angela passiert ist oder das, was mir passiert ist. Klar ist jedoch, dass meine Erfahrung und damit das, was in mir passiert ist, weitaus schlimmer war – und das ist das, was zählt, denn…

«Trauma ist nicht das, was dir passiert. Es ist das, was in dir passiert, als Ergebnis dessen, was mit dir passiert.»

Gabor Maté, Autor von «The Wisdom of Trauma»

Der Unterschied zwischen Angelas und meiner Erfahrung liegt also im Ausmass des unmittelbaren Erlebens – für Angela war die Situation während dem Stein-Fangis sicher auch sehr unangenehm und schlimm, für mich aber war sie im wahrsten Sinne des Wortes unerträglich. Angela sagt von sich, dass sie «keinen Schaden» davon getragen hat, ich kann das so für mich leider nicht behaupten.

Dass dies so ist, hat aber nicht nur mit dem unmittelbaren Erleben zu tun, sondern auch damit, was danach geschehen ist: Wenn ein Kind zuhause alles erzählen kann, ohne dass ihm mit Fragen oder Aussagen wie «Und was hast DU gemacht, dass sie so zu dir waren?» oder «Zum Streiten gehören immer zwei»* irgend eine Mitschuld gegeben wird, wenn alle Emotionen, die mit der Erfahrung einhergehen, Platz haben (also auch die ganze Frustration, der Alarm etc.) und es zu seinen Tränen finden kann, dann wird der Mobbing-Erfahrung der Zahn gezogen.

Und das ist genau das, was Resilienz ausmacht: Dass wir das, was Erlebnisse in uns auslösen, FÜHLEN können – dass wir also die ganze Verzweiflung und Machtlosigkeit und die Trauer darüber, dass es wirklich so geschehen ist und wir nichts, aber auch wirklich gar nichts daran ändern können, FÜHLEN können. Hierfür braucht es einen sicheren Raum, in dem alles, was in uns ist, Platz hat, in dem wir nicht verurteilt werden und keine Ratschläge bekommen und in den wir bedingungslos eingeladen sind. Einen solchen heilenden Raum finden wir nur in sicheren und tragenden Beziehungen.

Unseren Handlungsspielraum als Erwachsene nutzen

Deshalb ist es im Kontext von Mobbing und Mobbing-Prävention so – ich wiederhole: so! – wichtig, dass wir Erwachsenen uns der Kraft von Bindung bewusst sind und dass wir tiefe und tragende Beziehungen zu unseren Kindern und Jugendlich aufbauen und nähren. Wie das geht, davon erzählen wir in unseren Podcasts und ganz aktuell auch im Kurs «Kinder unter 7 verstehen».

Ich blieb mit dieser Erfahrung und auch mit anderen jahrelang allein – und zu erzählen, wie ich durch all diese Panzerungen zurück zu mir gefunden habe, passt eher in ein Buch denn in einen Blog-Eintrag. Zum Thema Mobbing habe ich aber noch etwas mehr zu sagen, in zwar in den nächsten zwei Blog-Einträgen…

  • «Bindungshunger als Falle»

  • «Wie werden Kinder zu Mobbern? – Fehlende Bindung als Nährboden resp. als (grosses) Mosaiksteinchen in einer komplexen Antwort

und in unserem Mini-Kurs «Mobbing - ein Blick hinter die Kulissen».

 

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* Mir wurde erst als Erwachsene klar, dass diese Aussage überhaupt nicht stimmt! Für Frieden braucht es zwei, ja - zum Streiten aber reicht eine Person!

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